MeilensteineGeschichte 034

Die BFS öffnet sich für privat-gewerbliche Kunden

Ab 1980 fordern veränderte Rahmenbedingungen eine Erweiterung des Kundenkreises über die Freie Wohlfahrtspflege hinaus.

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Zu Beginn der 1980er-Jahre leiden viele Banken unter einer ungewöhnlich dynamischen, von der Deutschen Bundesbank eingeleiteten Hochzinsphase. So steigt der Lombardsatz zwischen Anfang 1979 und Mitte 1980 von 3,5 auf 9,5 Prozent! Das Problem, auch für die Bank für Sozialwirtschaft: In der vorangegangenen Niedrigzinsphase wurden langfristige Kredite mit niedrigen Festzinsbindungen vergeben, die nun von den Kreditinstituten zu weitaus höheren Zinsen refinanziert werden müssen. Schon wird von einer „Schock-Ökonomie“ gesprochen, die mit abrupten Wechselkursveränderungen, sprunghaften Edelmetallmärkten und schnell wechselnden Parametern im internationalen Geld- und Kapitalverkehr die gesamte Wirtschaft aus dem Gleichgewicht bringen könnte.

Karl Klerx (r.) und Heinz-Bodo Lucke gaben 1980 den Anstoß zur Öffnung für Kundenzielgruppen über den freigemeinnützigen Raum hinaus.

Die BFS-Geschäftsführer Karl Klerx und Heinz-Bodo Lucke bringen ihre Sorgen deshalb in einem Brandbrief an den Aufsichtsrat im Mai 1980 drastisch zum Ausdruck: „Die BFS ist eingebettet in diese Entwicklung. Aufgrund ihrer Geschäftsstruktur wird sie besonders hart von der anhaltenden Hochzinsphase getroffen […], unter den Stößen der Schock-Ökonomie der achtziger Jahre besteht die Gefahr, daß die BFS als Folge ihrer einseitigen Geschäftsstruktur allmählich zerbricht.“

Eine neue Kundenstruktur wird zum Überlebensfaktor

Unter den denkbaren Alternativen listen die Geschäftsführer sogar die Möglichkeit auf, „die BFS zu liquidieren“ oder „zu 100 % an eine andere Bank zu verkaufen“. Bevorzugt wird allerdings die Option, aktiv und offensiv das Kreditgeschäft auf andere Kundenkreise auszuweiten. Sogar die „stolze Deutsche Bank“ habe das Massengeschäft mit dem „kleinen Mann“ als lukrativen Kunden entdeckt; viele Banken hätten in den vergangenen Jahren mit guter Rendite den „Kredithunger“ ihrer Kunden gestillt, „während die BFS an diesem Segen nicht den geringsten Anteil hatte“.

Der Aufsichtsrat stimmt dieser Strategie und damit der Öffnung für Kundenzielgruppen über den freigemeinnützigen Raum hinaus im Grundsatz zu, verlangt aber, dass „der Freien Wohlfahrtspflege nahestehenden Gruppen der Vorzug gegeben werden sollte“. Des Weiteren solle das Geschäftsvolumen insgesamt zwar nicht schrumpfen, aber „ungesunde Einlagenstrukturen“ sollten ebenso abgebaut werden wie „einseitige Engagements zu Lasten der Bank“.

Für das Spar- wie auch das Kreditgeschäft öffnet sich die BFS für gemeinnützige Selbsthilfegruppen, die seit Anfang der 1980er-Jahre im sozialen Bereich zunehmend entstehen. Obwohl sich viele dieser Gruppen im Laufe der Zeit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband anschließen und damit zur Freien Wohlfahrtspflege gehören, schlägt ihnen noch lange von etablierten freigemeinnützigen Trägern Misstrauen entgegen. Und auch innerhalb der BFS hat die Strategie nicht nur Befürworter.

"Kein anderer hätte einer Selbsthilfeorganisation in den 80er Jahren ein Konto gegeben."

Claus Helmertwar bis Juli 2020 Finanzdirektor des Paritätischen Gesamtverbandes und Mitglied der Finanzkommission der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW).

Privat-gewerbliche Sozialanbieter ja, Privatpersonen nein

Darüber hinaus wird bankintern lange diskutiert, ob man das Spargeschäft zusätzlich auf reine Privatpersonen, die der Wohlfahrtspflege beruflich oder privat nahestehen, ausdehnen solle. 1989 startet hierzu ein Pilotprojekt in Baden-Württemberg mit einem Sozialfonds, aus dem heraus wiederum zinsgünstige Kredite für soziale Einrichtungen und Organisationen vergeben werden. Anfang 1992 erteilt die Geschäftsführung dem Privatkundengeschäft allerdings eine klare Absage: „Privatpersonen sind nicht Zielgruppe der BFS“, unter anderem weil die Struktur der Bank für ein „Massen- bzw. Kleinmengengeschäft“ nicht ausgelegt ist und die Erfordernisse des Verbraucher-Kreditgesetzes zu unverhältnismäßigen Aufwendungen führt. Ausnahmen gibt es für sogenannte Schlüsselpersonen oder VIPs, also Führungskräfte und Multiplikatoren aus der Freien Wohlfahrtspflege. Und dies auch nur, „soweit Bonität und Seriosität des Kreditnehmers einwandfrei sind“.

Dagegen öffnet sich die BFS insbesondere nach der Einführung der Pflegeversicherung 1995 für neue Kundengruppen, indem sie privat-gewerbliche Anbieter aktiv anspricht. Sie gewinnt so durch die politisch zunehmend gewollte Öffnung zu „mehr Markt“ in der Sozialwirtschaft viele neue Kunden, die allerdings oft in Konkurrenz zu ihrer traditionellen Zielgruppe aus der Freien Wohlfahrtspflege stehen. 

Strategisch erweist sich das im Laufe der Jahre wachsende Geschäft mit privat-gewerblichen Kunden trotz anfänglicher und teils heute noch verbreiteter Skepsis als erfolgreich und richtig. Die enormen Marktveränderungen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft erforderten die Öffnung für neue Kundengruppen. Ohne sie wäre die Bank heute nur auf einem Teil des Marktes präsent. Es ist das Verdienst der Verantwortlichen, diese Notwendigkeit frühzeitig erkannt und in die Wege geleitet zu haben. Letztlich profitieren von den damit verbundenen Ertragschancen die Aktionäre der BFS, also die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. 

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