Die Entwicklung der Bank für Sozialwirtschaft ist untrennbar mit der Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege verbunden.
Bis weit in die 90-er Jahre hinein bleibt das Selbstverständnis der Bank für Sozialwirtschaft als „Fachbank und Instrument der Freien Wohlfahrtspflege“ dominierend. Die Bank ist 1923 als Selbsthilfeeinrichtung der Freien Wohlfahrtspflege gegründet worden – und sie heißt noch bis 1970 „Hilfskasse“. „Von der Wohlfahrtspflege für die Wohlfahrtspflege heißt unsere Devise“, schreibt Geschäftsführer Heinz-Bodo Lucke 1984. Bei den Kunden ist er dafür bekannt, dass er auf den jährlichen Neujahrsempfängen kritische Reflexionen zur Wohlfahrtspflege liefert.
Vor diesem Hintergrund gibt die BFS anlässlich ihres 60. Jubiläums 1983 bei der PROGNOS AG, Basel, die Studie „Entwicklung der Freien Wohlfahrtspflege bis zum Jahr 2000“ in Auftrag. Diese erscheint 1984 und wird im Kreis der Gesellschafter und Kunden sehr intensiv diskutiert. „Für die Freie Wohlfahrtspflege ist die PROGNOS-Studie eine wichtige Entscheidungshilfe bei ihren Überlegungen zur Gestaltung und Finanzierung sozialer Dienste“, kommentiert Karl-Heinz Thiel, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und Mitglied des Aufsichtsrates, im BFS-Geschäftsbericht 1984.
Für die BFS ist die PROGNOS-Studie der Auftakt für eine systematische Beschäftigung mit der Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege und einer eigenen Marketingstrategie. Ziel ist es, den Kunden Perspektiven für ihren Sektor aufzuzeigen, Impulse für Veränderungen zu geben und als Bank bedarfsgerechte Dienstleistungen zu entwickeln.
Bis Mitte der neunziger Jahre gibt die Bank weitere Studien und Zukunftsanalysen in Auftrag. So erscheint 1990 der Sammelband „Quo vadis Freie Wohlfahrtspflege?“, 1991 eine zweiteilige Prognos-Studie zum Thema „Freie Wohlfahrtspflege im künftigen Europa – Chancen und Risiken im europäischen Binnenmarkt“, 1994 das Gutachten „Zur Vorteilhaftigkeit der Ausgliederung des investiven Bereichs freigemeinnütziger Unternehmen in eine gewerbliche Tochtergesellschaft“ von Peter Eichhorn, und 1995 die Studie „Von Subsidiarität zu ´outcontracting´“ von Holger Backhaus-Maul und Thomas Olk. Immer stärker wird zu dieser Zeit die im „Subsidiaritätsprinzip“ verankerte gesetzlich bedingte Vorrangstellung der Freien Wohlfahrtspflege in Frage gestellt und ein politischer Wille zu mehr „Markt“ in der Sozialwirtschaft erkennbar. Insbesondere die Einführung der Pflegeversicherung 1995 ist hier ein Meilenstein. Folgerichtig veröffentlicht die Bank 1999 „Die sozialwirtschaftliche Bilanz der Freien Wohlfahrtspflege“ von Franz Spiegelhalter.
Welche Konsequenzen haben diese Veränderungen für freigemeinnützige Träger und Verbände? Das diskutiert die Bank zu Beginn des neuen Jahrtausends mit ihrem Zentralbeirat auf sozialwirtschaftlich ausgerichteten Klausurtagungen. Gezielt nutzt sie hier die hervorragenden Kenntnisse der Mitglieder aus verschiedenen Wohlfahrtsverbänden und Regionen für spannende Impulsreferate und kontroverse Debatten. Im Mittelpunkt steht die Frage: Welche Zukunft wollen wir? Auch Vortragsveranstaltungen für Kunden und Fachbeiträge beschäftigen sich mit den strategischen Optionen für die Freie Wohlfahrtspflege.
Die Umwandlung der Rechtsform der Bank in eine Aktiengesellschaft 1997 und die zunehmende Entwicklung eines Marktes für soziale Dienstleistungen, auf dem neben gemeinnützigen und öffentlichen Anbietern privat-gewerbliche Träger wichtiger werden, führt zu einer allmählichen Öffnung der Zielgruppen der Bank über die Wohlfahrtspflege hinaus. Daher stellt sie auch in ihren Studien und Reports verstärkt die Zukunft der gesamten Sozial- und Gesundheitswirtschaft in den Fokus – weiterhin mit einem besonderen Augenmerk auf freigemeinnützige Verbände und Träger. Denn diese halten bis heute mehr als 90 Prozent der Aktien und sind die „geborenen“ Kunden der Bank. Die Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege bleibt so von elementarer Bedeutung für die Strategie und die Entwicklung der BFS. Aktuell sind es vor allem zwei Entwicklungen, die auch die BFS umtreiben: die Debatte um das „neue Gemeinwohl“ und die praktischen Anforderungen zur nachhaltigen Ausrichtung der Einrichtungen und Verbände.
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Von 1923 bis 2023
6 Themenschwerpunkte verweisen darauf, in welchen Rollen die Bank für Sozialwirtschaft in den letzten 100 Jahren gemeinsam mit ihren Kund*innen und Gesellschaftern gewirkt hat.